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Aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16.06.2015! Webseitenbetreiber haftet für beleidigende Nutzerkommentare nicht nur auf Unterlassung sondern auch auf Schadensersatz! RA Greier erläutert die Hintergründe.

Die so genannte große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (kurz: EMGR) mit  Sitz in Straßburg hat mit Urteil vom 16.06.2015 eine Entscheidung aus dem Jahre 2013 bestätigt (DELFI AS v. ESTONIA Az.:  64569/09)  wonach eine gerichtliche Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz gegenüber einem Forenbetreiber für beleidigende Kommentare, die in dem Forum anonym von Nutzern verfasst und anschließend veröffentlicht wurden, wirksam war und keine Verletzung der in Artikel 10 EMRK garantierten Meinungsfreiheit darstellt.

Demnach ist der Betreiber verpflichtet, beleidigende Kommentare umgehend nach Kenntniserlangung zu löschen.

Die Entscheidung ist nicht überraschend, zeigt aber einmal mehr, die Pflichten und Risiken des Forenbetreibers auf.

 

Shitstorm gegen den Fährbetreiber

In dem Fall wurde auf dem estnischen Online- Nachrichtenportal Delfi.ee  über die Fährgesellschaft Estonia berichtet.

Hintergrund war, dass der Fährbetreiber die Routen geändert hatten, wodurch so genante Eisstraßen zerstört wurden, die von Inselbewohnern bis dato per eigenem PKW genutzt werden konnten. Dieses offensichtlich stark emotional besetzte Thema führte zu einem regelrechten Shitstorm gegen den Fährbetreiber im Forum des Nachrichtenportals.

Das Portal löschte die Kommentare zwar, aber nach Ansicht des Fährunternehmens zu spät. Vor Gericht wurde das Nachrichtenportal zu einem Schadensersatz in Höhe von 320 EUR verurteilt. Nachdem die Berufung in der letzten estländischen Instanz zurückgewiesen wurde, klagte das Internetunternehmen vor dem EGMR.

 

Notice- and- takedown Verfahren und proaktive Prüfungspflicht

Nach Auffassung des Gerichts hätte der Forumbetreiber das so genannte Notice-and-takedown-Verfahren beachten müssen und die Beiträge nach Kenntniserlangung unverzüglich entfernen müssen. Die Entfernung sei aber zu spät erfolgt.

So weit so gut, zudem nimmt das Gericht eine Haftung aber unter Umständen auch dann an, wenn der Portalbetreiber im Vorfeld nicht einmal auf den Verstoß hingewiesen wurde. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Betreiber ihre Portale nun vorab auf etwaige Rechtsverletzungen prüfen müssen.

 

Nationales Recht und Stärkung der Rechte der Betroffenen

Zunächst handelt es sich bei der Entscheidung um die Prüfung der Frage, ob die Annahme einer Haftung durch die estnischen Gerichte gegen die EMRK verstößt. Das hindert indes die Gerichte anderer Staaten somit auch die deutschen Gerichte nicht daran, eine derartige Haftung abzulehnen.

Erst Recht werden dadurch keine verbindlichen Vorab-Prüfungspflichten für deutsche Portalbetreiber aufgestellt.

Ob nach deutschem Recht tatsächlich eine proaktive Prüfungspflicht  und/oder Vorsorgepflicht  der Portalbetreiber besteht ist höchstrichterlich nicht entschieden, wird aber mit Ausnahme  der Heise-Entscheidung (bejahend: OLG Hamburg MMR 2006,744-heise, OLG Hamburg, 22.08.2006 – 7 U 50/06) eher ablehnend bewertet. Gemäß der derzeitigen BGH Rechtsprechung kommt eine Haftung erst ab Kenntnis des Portalbetreibers in Betracht (BGH NJW 2007,2558-Meinunsgforum; BGH NJW 2007,2636,Rn.45 Internetforum II; BGH NJW 2888, Rn 14-Spickmich)

Auch wenn sich durch die Entscheidung die rechtlichen Pflichten der Forenbetreiber also nicht wesentlich geändert haben dürften, könnten die Auswirkungen dieser Entscheidung durchaus beachtlich sein.

Zwar sind  Portalbetreiber auch nach nationalem Recht bereits verpflichtet, offensichtlich unwahre oder diffamierende Einträge nach Kenntniserlangung umgehend zu löschen.

Die Möglichkeit, dass Verzögerungen hier unter Berufung auf die Entscheidung des EGMR Schadensersatzforderungen nach sich ziehen können, könnte die Vorgänge für  Betroffene indes erheblich beschleunigen. Webseitenbetreiber sind daher -so oder so- gut beraten, derartige Meldungen durch Betroffene nicht auszusitzen.

Für die Portalbetreiber kann das zudem den Druck erhöhen, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass derselbe oder ein vergleichbarer Kommentar wieder eingestellt wird.

Wer Kommentarfunktionen anbietet ist in jedem Fall gut beraten für Beanstandungen verfügbar zu sein und schnell reagieren zu können. Das Ende des Internets sicherlich nicht, aber vielleicht ein Schritt weiter zu einer neuen Netzkultur.