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Oberlandesgericht Stuttgart entscheidet über die Zulässigkeit eines Presseberichts zu den „Panama Papers”

 
 
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz von Matthias Haag hat mit einem am 8. Februar 2017 im Tenor verkündeten und nachfolgend abgefassten Berufungsurteil über den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Äußerungen in dem Beitrag „Das Phantom“ entschieden, der am 5. April 2016 in der Süddeutschen Zeitung und unter www.sueddeutsche.de erschienen ist. Kläger ist ein ehemaliger Privatdetektiv und „Geheimagent“, über den in dem Artikel berichtet wird. Die Beklagten sind der Zeitungsverlag sowie die drei Verfasser des Artikels. Anlass der Berichterstattung waren die „Panama Papers“. Hierbei handelt es sich um Dateien zu Briefkastenfirmen, die eine panamaische Rechtsanwaltskanzlei für eine Vielzahl prominenter Kunden geführt haben soll. Ein anonymer Informant soll die Dateien an einen der Beklagten übermittelt haben.
 
In dem angegriffenen Urteil vom 11. August 2016 hatte das Landgericht Stuttgart einige der Äußerungen untersagt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung teilweise bestätigt und teilweise abgeändert.
 
Insbesondere hat sich der Senat – in Anwendung der Maßstäbe aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung – mit der Frage auseinandergesetzt, ob die möglicherweise rechtswidrige Erlangung der Dateien der Veröffentlichung insgesamt entgegensteht. In tatsächlicher Hinsicht hat der Senat hierfür die zwischen den Parteien unstreitige Darstellung in dem Buch „Panama Papers – Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung“ zugrunde gelegt. Danach sei davon auszugehen, dass die Beklagten nicht lediglich ihnen zugespielte Informationen veröffentlicht haben. Vielmehr habe sich zumindest einer der Beklagten an einem etwaigen Rechtsbruch des Informanten beteiligt, indem er sich auf dessen Angebot eingelassen habe, nicht nur bereits vorhandene, sondern auch neu entstehende Informationen zu übermitteln, sofern diese veröffentlicht werden. Die Frage, ob der Informant rechtswidrig an die Informationen gelangt ist, lässt der Senat offen[1].
 
Auf die möglicherweise rechtswidrige Beschaffung kann sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil diese keine Straftat zu seinem Nachteil darstellt und ihn im Ergebnis auch nicht in eigenen Rechten verletzt. Insbesondere klagt vorliegend nicht die Kanzlei, bei der das „Leak“ bestand. Der Kläger dieses Verfahrens kann durch die Informationsweitergabe allenfalls in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sein. Dieses hat in der erforderlichen Abwägung mit dem Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit zurückzutreten. Ein überragendes öffentliches Informationsinteresse ergibt sich insbesondere aus der fehlenden Transparenz über den hinter der Briefkastenfirma stehenden wirtschaftlichen Eigentümer, der für die Behörden seines Heimatstaats nicht identifizierbar und mithin auch nicht kontrollierbar ist, und aus dem daraus folgenden Missbrauchspotenzial, etwa für Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Bedient sich eine sehr prominente Person wie der Kläger dieses Geschäftsmodells, das in den Augen jedenfalls eines erheblichen Teils der Allgemeinheit per se einen Missstand darstellt, rechtfertigt dies eine identifizierende Berichterstattung.
 
Hinsichtlich der angegriffenen Äußerungen hat der Senat aufgrund einer Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) mit dem Recht der Beklagten auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) wie folgt entschieden:
 
• Die detaillierte Beschreibung des vom Kläger bewohnten Anwesens unter gleichzeitiger Nennung des Ortes, in dem dieses liegt, und die Veröffentlichung des diesbezüglichen Grundbuchauszugs verletzen in rechtswidriger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Denn der Leser kann auch ohne Angabe des Wohnortes darüber informiert werden, dass sich der Kläger insoweit einer seiner Briefkastenfirmen bedient, die als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist. Auch für die öffentliche Meinungsbildung zur Frage, welchen Lebenszuschnitt sich der Kläger aufgrund seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als „Geheimagent“ leisten kann und ob dieser in angemessenem Verhältnis zu seinen Leistungen steht, genügt die Beschreibung des Anwesens ohne Angabe des Wohnorts.
• Die Ablichtung eines Reisepasses des Klägers, der auf eine seiner Tarnidentitäten ausgestellt ist, verletzt ihn hingegen weder in seinem Recht am eigenen Bild noch in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Senat ist dem Argument einer Gefährdung des Klägers bereits deswegen nicht gefolgt, weil dieser ohne Weiteres durch Bilder aus allgemein zugänglichen Quellen identifizierbar ist, was eine zusätzliche Gefährdung gerade durch die Veröffentlichung des Passbildes ausschließt. Auch die Tarnidentität selbst ist schon vor der Publikation des streitgegenständlichen Beitrags öffentlich enttarnt worden und über eine Internetrecherche, beispielsweise im Wikipedia-Artikel über den Kläger, zu finden.
• Die Äußerung, über den Kläger gebe es das Gerücht, er solle Polizisten bestochen haben, verletzt den Kläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es handelt sich um eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung, deren Wahrheit von den Beklagten glaubhaft zu machen wäre, was ihnen jedoch nicht gelungen ist. Nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung, die auch auf die Wiedergabe eines Gerüchts anwendbar sind, ist die Äußerung unzulässig. Ein von den Beklagten angeführtes Strafverfahren in Belgien, in dem der Kläger rechtskräftig freigesprochen worden ist, sowie die Bezugnahme auf nahezu 20 Jahre alte und überwiegend noch ältere Presseberichte genügt den Anforderungen an eine sorgfältige Recherche über den Wahrheitsgehalt des Verdachts nicht.
Ein weiteres Rechtsmittel gegen das Urteil des Oberlandesgerichts ist nicht gegeben (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
 
Aktenzeichen
4 U 166/16 – Oberlandesgericht Stuttgart
11 O 102/16 – Landgericht Stuttgart
 
Quelle: Pressemitteilung OLG Stuttgart vom 09.03.2017